Missbrauchsskandale in der katholischen Kirche: Heidkamper Pfarrer bezieht mutig Stellung

Bereits seit einiger Zeit steht die katholische Kirche stark in der Kritik.
Am Donnerstag, dem 18. März 2021, veröffentlichte die katholische Kirche ein Gutachten zum Umgang mit sexuellem Missbrauch im Erzbistum Köln.
Laut dem sind über 200 Kirchenvertreter des Missbrauchs überführt worden.

Seit fast drei Monaten plant unsere Redaktion bereits einen Artikel zu dem Thema. Warum er jetzt erst fertig ist? Mehrere hochrangige Vertreter des Erzbistums weigerten sich, zu dem Thema Stellung zu beziehen. Einige sagten ab, andere schickten uns zu einem anderen Pfarrer, manche antworteten gar nicht erst.
Nun erklärte sich ein mutiger Pfarrer bereit, unsere Fragen zu beantworten.

Christoph Bernards ist leitender Pfarrer der katholischen Kirchengemeinde St. Joseph und St. Antonius in Bergisch Gladbach.
Hier unser Interview mit ihm:

Allein für den Monat Mai wurden in Köln über 1500 Anträge auf Kirchenaustritt  gestellt – wie geht es Ihnen persönlich damit?
 
Zunächst einmal kann ich feststellen, dass die meisten, die aus der Kirche austreten, dies nicht machen, weil ich „Mist“ gemacht habe, sondern haben andere, für mich auch nachvollziehbare Gründe: sie möchten die Kirchensteuer sparen, sind unzufrieden mit Ereignissen in der Kirche (Missbrauchsskandal und seine Aufarbeitung oder Verlautbarungen aus Rom zum Beispiel) oder können mit der Gemeinschaft nicht mehr viel anfangen, weil sie denken, dass sie nichts davon haben.
Natürlich machen mich die Kirchenaustritte – und das nicht erst seitdem sie so hoch geworden sind – traurig und nachdenklich, weil sie mir deutlich machen, dass wir die Menschen mit den guten Angeboten, die wir haben, nicht erreichen. Angebote, die helfen, das Leben meistern zu können; selbst dann, wenn „alles den Bach“ runter geht.
Meine Erfahrung ist, dass viele, die die Kirche verlassen, ihr Wissen über die Kirche aus den Medien beziehen und selber keine (guten) Erfahrungen mit der konkreten Kirchengemeinde vor Ort haben. Das finde ich sehr bedauerlich, weil ich davon überzeugt bin, dass jeder dort gute und hilfreiche Erfahrungen machen kann; selbst, wenn wir mal Fehler machen und nicht alles rund läuft. Aber diesen Blick haben leider die wenigsten. Sie schauen auf das, was öffentlichkeitswirksam „vermarktet“ wird und so müssen die Skandale dann dafür herhalten, die Kirche zu verlassen.
 
Vergangene Woche verbot die Glaubenskongregation, vermutlich mit ausdrücklicher Zustimmung des Papstes, erneut die Segnung homosexueller Paare. Was ist Ihre Meinung dazu? Würden Sie homosexuellen Paaren trotzdem Ihren Segen geben? Warum? Warum nicht?
 
Das war eindeutig ein Fehler der Glaubenskongregation, mit einem einfachen „Nein“ und einer sehr fragwürdigen Begründung die Anfrage zu beantworten. Statt eine Diskussion zu beenden, ist „der Schuss nach hinten losgegangen.“ Ich sehe das auch als einen Versuch, Einfluss auf den synodalen Weg der Kirche in Deutschland zu nehmen.
Ich persönlich halte das „Nein“ für falsch.
Zum einen wird durch die Begründung, Gott könne „sündiges Verhalten“ nicht segnen, die Beziehung von Schwulen und Lesben reduziert auf Sex. Ausdrücklich wird ja gesagt, dass homosexuelle Menschen absolut gleich zu behandeln sind und sie vor Gott die gleiche Würde haben. Lediglich homosexuelles Verhalten könne nicht geduldet sein. Das ist diskriminierend, weil es die Paare eben darauf reduziert.
Dazu kommt, dass die Linie der katholischen Kirche in der Sexualmoral leider immer noch weit hinter humanwissenschaftlichen Erkenntnissen zurück ist, nämlich dass eine gesunde und lebensförderliche Sexualität auch gelebt werden muss. Sexualität und die Befriedigung sexueller Triebe gehören zum Mensch-Sein dazu, wie beispielsweise Essen, Trinken oder Schlafen auch. Sie dienen eben nicht ausschließlich der Zeugung von Nachkommenschaft, wie behauptet wird. Im Übrigen dürfte ich mit dieser Einstellung auch kein heterosexuelles Paar segnen, weil ich mir ziemlich sicher bin, dass auch diese ihre Sexualität erfüllt (aus-)leben und nicht jedes Mal darauf aus sind, ein Kind zu zeugen.
Zum anderen wird hier der Segen, der von Gott kommt und durch Priester – oder auch andere Menschen – zugesprochen wird, instrumentalisiert zu einem (menschlichen bzw. kirchlichem) Erziehungsmittel. Damit würde letztlich die Kirche, d.h. Menschen in der Kirche, Gott vorschreiben, was er segnen kann und nicht. Das geht nicht.
Auch das vorgebrachte Argument, eine solche Segnung könne mit dem Brautleutesegen und dem Sakrament der Ehe verwechselt werden halte ich für nicht stichhaltig. Zum einen wird das Sakrament der Ehe gar nicht durch den Brautleutesegen gestiftet, sondern einzig durch das Eheversprechen der Brautleute. Und das muss man natürlich erklären – auch heute schon erklären: nämlich Braut und Bräutigam, die das in der Regel auch nicht wissen. Und da wir es nicht mit dummen Menschen zu tun haben, die nach Erklärung das nicht auseinander halten könnten, sehe ich die Gefahr der Verwechslung überhaupt nicht.
Aus dem oben erwähnten wird, glaube ich, deutlich, wie ich mit einer solchen Anfrage umgehen würde. Ich werde auch Paare segnen, die keine katholische Ehe schließen können.
 
Nach der Veröffentlichung des Gutachtens am 18.03. haben der Hamburger Erzbischof Heße, der ursprünglich aus Köln kommt, sowie der Kölner Weihbischof Schwaderlapp ein Rücktrittsgesuch beim Papst eingereicht. Haben Sie mit diesen beiden Personen in der Vergangenheit zusammengearbeitet? Wie kann es sein, dass Menschen, die bei der systemischen Vertuschung von Kindesmissbrauch mitgewirkt haben, in höchste kirchliche Ämter kommen?
 
Nein, ich habe mit beiden in der Vergangenheit nicht zusammen gearbeitet. Selbstverständlich kenne ich sie beide, was aber nicht wesentlich mehr ist, als wie Sie beispielsweise eine/n Lehrer/in kennen, die/der an Ihrer Schule tätig ist und die/den Sie aber nie im Unterricht hatten.
Beide Personen, die Sie hier ansprechen, haben „Karriere“ gemacht, als Kardinal Meißner noch Erzbischof von Köln war. Stephan Heße ist später erst, als Kardinal Meißner im Ruhestand und Kardinal Woelki als sein Nachfolger gekommen war, zum Erzbischof von Hamburg berufen worden.
Wie Sie richtig fragen, handelt es sich um „systemische Vertuschung“, d.h. etwas, das im System der Kirche liegt. Es ist untersucht und aufgedeckt worden, wie im Erzbistum Köln die internen Abläufe, Kommunikations- und Entscheidungswege waren und da sind eklatante, Fehler im System zu Tage getreten. Ob und warum diese nicht schon vorher durch die handelnden Personen hätten erkannt werden können, wurde nicht untersucht. Die späten Eingeständnisse derjenigen, denen im Gutachten Fehlverhalten nachgewiesen wurde, sprechen dafür, dass sie selber in diesem System so drin waren, dass sie dieses Versagen nicht erkannt haben.
Wie eben schon mal gesagt, sind beide in der Zeit von Kardinal Meißner zu höheren kirchlichen Ämtern gekommen. Das Gutachten hat auch zu Tage gebracht, dass Kardinal Meißner den Kindesmissbrauch aktiv vertuscht und sogar geleugnet hat, dass es so etwas in der Kirche von Köln gäbe. Es wäre aber zu einfach, ihm alleine die Verantwortung zu zuschieben. Hier hat ein ganzes System versagt und muss dringend verändert werden. Aber auch die Einstellung derer, die solche Entscheidungen treffen, müssen nachhaltig verändert werden.
 
Eine Kirche, die Nächstenliebe predigt und auf der anderen Seite Missbrauchsfälle vertuscht und Menschen diskriminiert. Wie passt das zusammen?
 
Das passt gar nicht zusammen.
Allerdings möchte ich auch hier etwas differenzierter drauf schauen: in den Pfarrgemeinden und den kleinen Gemeinden vor Ort wird sicherlich viel Gutes im Sinne der Nächstenliebe getan. Und Nächstenliebe muss in erster Linie sich in der Tat zeigen; das ist die beste Predigt.
Die Vertuschung von Missbrauchsfällen geschah auf einer anderen Ebene.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: ich möchte jetzt nicht mich oder „meine Gemeinde“ rein waschen; wir machen sicherlich auch so manchen Fehler hier. Ich stelle gleichzeitig fest, dass sexueller Missbrauch auch heute noch ein Tabu-Thema ist, über das wenig gesprochen wird. Das ist auch schwer, weil immer auch Fragen der Persönlichkeitsrechte berührt werden, wenn man etwas über eine andere Person erzählt. Die Gradwanderung zur Verleumdung ist schmal.
Unabhängig davon bleibt es ein Skandal, dass Menschen missbraucht worden sind in der Kirche und das passt so gar nicht mit der Botschaft Jesu zusammen. Er hat sich immer dafür eingesetzt, Machstrukturen zu durchbrechen und aufzubrechen. Das einzige, was bei ihm zählte, war die Liebe.
 
Viele Menschen, auch bei uns in den Religionskursen, fragen sich, wie es nun weitergehen soll, zweifeln teilweise an ihrer Mitgliedschaft in der Kirche- was können Sie diesen Menschen mitgeben?
 
Nun, wie es weiter gehen kann, weiß ich natürlich auch nicht. Wir stehen als Kirche im Augenblick in einer Entwicklung, die schon länger absehbar war und da sind die Skandale und auch die Pandemie letztlich nur Beschleuniger dessen, was eh auf uns zukommt: wir werden zahlenmäßig nicht mehr so stark sein, wie noch vor 10-20 Jahren. Und das wird dann auch Auswirkungen haben auf unsere ganze Art, wie wir Kirche-Sein gestalten können und werden.
Ich persönlich kann nur dafür werben, weiter Mitglied der Kirche zu sein. Ich plädiere aber dafür, sich von der Vorstellung  zu lösen, dass diese Kirche eine vollkommene, perfekte und fehlerfreie Kirche sei – wie sie sich gerne darstellt. Das ist sie nicht und war sie auch nie, was ein Blick in die lange Geschichte unserer Kirche zeigt. Neben den Fehlern finde ich auch viele gute und lebensförderliche Aspekte in der Kirche. Ich entdecke eine kirchliche Gemeinschaft, die auch lernt – insbesondere aus Fehlern. So ist beispielsweise unser Erzbistum schon seit die ersten Fälle des Kindesmissbrauchs in der Kirche öffentlich bekannt geworden sind, mit seiner Präventionsarbeit bundesweit Vorreiter gewesen. Nur, um ein kleines Beispiel zu nennen: alle, die sich hauptberuflich oder ehrenamtlich in der Kinder- und Jugendarbeit der Pfarrgemeinde engagieren, müssen eine Präventionsschulung absolvieren. Und in Bezug auf das nun veröffentlichte Gutachten, in dem die Verantwortlichen benannt werden, die an der systemischen Vertuschung beteiligt waren, muss man auch sagen, dass dies das Erste seiner Art in Deutschland ist. Hier haben wir also einiges aus Fehlern gelernt … und müssen sicherlich noch viel mehr lernen und verändern.
Was ich sagen möchte: Es gibt viel Gutes in unserer Kirche zu entdecken und das kann ich nur, wenn ich den Kontakt suche, mich umfangreich auch informiere und wenn ich dabei bleibe. Kirche kann sich auch nur dann weiter entwickeln und verändern, wenn es Menschen gibt, die das tun. Wenn alle „kritischen Geister“ die Kirche verlassen, können Sie sich vorstellen, wer dann noch bleibt. Mit denen ist dann keine Veränderung möglich. Eine Veränderung im Übrigen, die nicht gewollt ist, weil sie „schick“ ist oder weil sie von der Mehrheit gewollt wäre, sondern weil sie im Sinne Jesu ist, der den Menschen und die Liebe Gottes zu den Menschen konsequent in den Mittelpunkt gestellt hat. Das kann nur geschehen, wenn wir – nicht nur die Priester – das auch tun. Deshalb bitte ich alle zu bleiben, sich ein Bild von der konkreten Gemeinde vor Ort zu machen und nicht zu sparen mit Anregungen zur Verbesserungen. Wenn Sie in Ihrer Gemeinde vor Ort die Möglichkeit finden, Ihren Glauben und Ihre Beziehung zu Gott zu leben, dann wäre das gelungen.

Das Interview führte Antonia Luigs (EF)

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