Kinder werden laut – eine Reportage

Hebborn – Es ist Mittwochmorgen, 9:30 Uhr. Die 282 Kinder der GGS Hebborn haben sich auf dem Schulhof zum Start einer Demonstration versammelt. Sie halten Transparente in den Händen und Plakate in die Luft. Begleitet von mehreren Streifenwägen sowie PolizistInnen zu Fahrrad und auf Motorrädern, die den Verkehr regeln, laufen sie über die Odenthaler Straße, passieren sowohl die erste große Kreuzung als auch die katholische Kirche, bevor der Zug auf die Alte Wipperführter Straße abbiegt. Die Kinder sind begeistert über den Zuspruch, den sie von den vereinzelten Schaulustigen bekommen, die am Wegesrand stehen oder aus den Fenstern der umliegenden Häuser zusehen. Ein Großteil der AutofahrerInnen, die eher unfreiwillig auf Grund der Vollsperrung im Stau gefangen sind, erfreut sich ebenfalls an den vorbeiziehenden Kinderscharen. Die Formation bewegt sich über die Reuter-, dann die Jägerstraße weiter durch Hebborn, bis ihre Demonstration um kurz nach zehn wieder auf dem Schulhof der Grundschule endet.
Dort haben „Fug und Janina“, eine Künstlerin und ein Künstler, die unter anderem bei „Wissen macht Ah“ mitwirkten und gemeinsam bereits bei mehreren Weltkindertagen in Berlin auf der Bühne standen, ihre Instrumente aufgebaut. Zusammen mit der ganzen Schule singen sie Lieder, lassen die Kinder den Rhythmus stampfen. Sie schmettern:„Kinder mit Recht! Sorgt für uns, sonst geht‘s uns schlecht !“ und die Kinder grölen den Refrain beinahe aus vollem Halse mit. Die allgemeine Aufregung und der Enthusiasmus in der Luft sind spürbar. Ein Junge aus der vierten Klasse ruft Richtung Bühne: „Janina! Sind wir jetzt auch berühmt?!“
Der Fokus der Menge liegt zu dem Zeitpunkt jedoch schon auf einer Gruppe von mutigen SchülerInnen, die eine gemeinsame Präsentation der Kinderrechte vorbereitet haben. Sie erzählen vom Recht auf Privatsphäre, vom Recht auf eine gewaltfreie Erziehug, vom Recht auf Bildung und Freizeit, sie erzählen von dem Recht auf Mitbestimmung. Mitbestimmen. Das wollen die Kinder, das wollen die Kinder unbedingt. Sie haben ihre Schülervertreterin aus der vierten Klasse und ihren Schülervertreter aus der dritten Klasse aus diesem Grund nach einer doppelten Abstimmung über das allerwichtigste Thema in Richtung Rathaus geschickt, damit sie sich bei Bergisch Gladbachs allererster Kinderratssitzung mit einem Vertreter des Bürgermeisters für ein neues Fußballfeld an der hebborner Grundschule einsetzten können. Für den Bau der Sofortschule musste das alte Feld weichen. Guter Dinge und etwas nervös ziehen die beiden in Begleitung der sozialpädagogischen Fachkraft für die Schuleingangsphase Katrin Braun los, kaufen sich gemeinsam noch rasch eine Kleinigkeit bei der Bäckerei, um dann frisch gestärkt die Ratssitzung mit 22 weiteren SchülervertreterInnen aus den umliegenden Grundschulen zu beginnen. Doch diesem Vorhaben stellen sich einige ungeahnte Schwierigkeiten in den Weg.
Der große Ratssaal im alten Rathaus ist bestuhlt, wie er üblicherweise nur zu Trauungen besthult wird. Stühle dicht an dicht, Reihe um Reihe. Die Stuhllehnen sind so hoch, das die Kinder beinahe nicht drüber schauen können. Die riesigen Kronleuchter, die von der hohen Decke baumeln, brennen nicht, es ist kein Lichtschalter zu finden, ebensowenig Herr Ragnar Migenda, der Vertreter des Bürgermeisters. Die begleitenden Erwachsenen schaffen diese Schwierigkeiten jedoch schnell aus der Welt. Es werden kurzerhand die hölzernen Flügektüren zum kleinen Ratsaal geöffnet, 25 Stühle um den gigantischen Tisch gestellt und eine Art Tafelrunde gebildet. In der Sekunde, in der das letzte Kind Platz genommen hat und Wiebke Greve, eine der Hauptinitiatorinnen des Projekts und Konrektorin der GGS Hebborn, gerade zu erklären beginnt, dass sich der Herr Migenda etwas verspäten wird, steht er plötzlich in der Tür. Ein gerne „Gell?“ sagender Herr, der seine Schulzeit in den 70er Jahren absolvierte, gekleidet in einem grauen Anzug, mit rot-gelbem Schaal, Brille und dunklen Turnschuhen. Ihm wird ein Stuhl angeboten, doch er lehnt dankend ab. Er sitze so oft, da sei ein bisschen Stehen ganz gut. Lächelnd blickt er in die Runde, beginnt vom Rathaus zu erzählen, wie es im klassizistischen Stile gebaut ist. Ob er damit ein Thema getroffen hat, was die Kinder interessiert, lässt sich diskutieren, als er hingegen beginnt, Fragen an die einzelnen SchülerInnen zu stellen, trifft er definitiv den Nerv des Interesses aller. Nacheinander redet er mit den VertreterInnen aller 12 Schulen. Die Kinder wünschen sich bessere, sicherere Schulwege, neuer Spielgeräte auf den Pausenhöfen, neue Möbel, mehr Rückzugsräume, damit der Unterricht in manchen Schulen nicht mehr auf den Fluren stattfinden muss, besseres WLAN. Sie haben Unterschriftenlisten erstellt, einen Spartext mit den finanziellen Vorteile von Digitalisierung vorbereitet und ein Plakat mit den Vorteilen von iPads gebastelt, einer davon zum Beispiel, dass Hefte nach ein paar Wochen schon verknickt sind und nicht mehr schön aussehen, iPads aber schon.
Herr Migenda geht darauf ein, freut sich über jeden Beitrag und verspricht immer wieder, sich für die genannten Themen einzusetzen. Allerdings gibt er auch von Beginn an zu, dass mit Sicherheit nicht jeder Wunsch umsetztbar ist.
Die Sitzung wird mit nach etwa eineinhalb Stunden mit einem Gruppenfoto beendet, Ragnar Migenda geht als Letzter. Ein nächstes Zusammentreffen soll in einem halben Jahr stattfinden, man freue sich schon darauf, hoffe auf viel Fortschritt aber erwarte nicht zu viel.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht davon aus, dass bis zu 1.000.000 Kinder in Deutschland sexuelle Gewalt durch Erwachsene erfahren haben. Das bedeutet, etwa ein bis zwei Kinder in jeder Schulklasse. Kinder, die bereits körperliche oder seelische Misshandlung erfahren haben, sind besonders gefährdet. Jedes einzelne Kind, welches so eine schreckliche Erfahrung machen muss, ist ein Kind zu viel. Das macht Projekte zu Kinderrechten so unglaublich wichtig. Wir brauchen mehr Kinderschutz, wir brauchen mehr Präventionsmaßnahmen, wir brauchen mehr Hilfsangebote. Wir brauchen mehr Aktionen wie die der Grundschulen in Bergisch Gladbach.

Hannah Westphal (8c)

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