Jeder von uns sieht sie regelmäßig in unserer Stadt – die weißen Container, die man im Volksmund als „Flüchtlingslager“ bezeichnet. Doch die wenigsten haben eine Ahnung davon, wie es in diesen Erstaufnahmeeinrichtungen aussieht, wie die Menschen dort leben und vor allem wer sie genau sind. Aus diesem Grund beauftragten wir eine unserer russischsprachigen Redakteurinnen Antworten auf diese Fragen zu finden. Sie besuchte eine der Erstaufnahmeeinrichtungen des DRKs in Bergisch Gladbach.
Eine der DRK-Mitarbeiterinnen berichtet mir, dass in ihrer Erstaufnahmeeinrichtung aktuell in etwa 100 Personen untergebracht seien. Die Geflüchteten teilen sich dort einige der Räume, die für sechs bis acht Personen ausgerichtet sind. Diese bestehen aus Kunststofftrennwänden, die sich in einer großen Halle befinden. Haustiere sind dort streng verboten, da die Zimmer keine herkömmlichen Türen, sondern nur „gardinenartige“ Vorhänge haben. Somit können sie ein Fortlaufen des Tieres und einen unerwünschten Tierbesuch anderer Räumlichkeiten nicht verhindern. Einen festen Tagesablauf gibt es in der Erstaufnahmestelle nicht. Lediglich die Zeitpunkte der Mahlzeiten und Bettruhe sind vorgegeben. Neben den Schlafräumen, der gemeinschaftlichen Toiletten/Duschen und dem Speisesaal gibt es in der Aufnahmestelle auch eine Coronateststation, einen Quarantäneraum, einen kleinen Innenhof, eine Kinderspielecke und sogar eine Gamingecke mit einer Playstation. Dort können die Kinder und Jugendlichen ihre Freizeit verbringen oder lernen. Dank der vorhandenen Internetverbindung ist es für die SchülerInnen möglich, am online Unterricht teilzunehmen oder im Internet zu surfen. Auch die Erwachsenen profitieren davon. Denn unter den Geflüchteten sind Menschen verschiedener Professionen zu finden. Dazu gehören auch zwei Lehrerinnen, die Mathe und Deutsch unterrichten. Die beiden Frauen gehen auch in dieser schwierigen Zeit weiterhin ihrem Beruf per Skype, Zoom und anderen Medien nach.


Während meiner Recherche habe ich viele interessante und nette Persönlichkeiten getroffen, die sich bereit erklärt haben, mir einen Einblick in ihre Erlebnisse zu gewähren. Darunter der Familienvater Walerij und die 22-jährige Anastasia.
Walerij ist gemeinsam mit seiner Frau und seinen Kindern aus Mykolajiw, einer Stadt im Süden der Ukraine geflohen. Über zwei Wochen lang war die Familie auf der Flucht. Der Familienvater berichtete, dass er und seine Familie kein bestimmtes Ziel hatten. Sie wollten nur in Sicherheit. „Das Schlimmste ist, wenn du nicht weißt, wohin du sollst“ – sagte Walerij. Auf ihrer Flucht hielt die Familie in mehreren ukrainischen Städten. In Polen angelangt, verbrachten sie dort zwei Wochen und fuhren anschließend weiter in Richtung Deutschland. Des Weiteren fuhr die Familie im Gegensatz zu vielen anderen nicht mit einem ehrenamtlichen Evakuationstransporter, sondern mit dem Auto guter Freunde, die sich netterweise bereit erklärten, das Fahrzeug zur Verfügung zur stellen. Dies liegt daran, dass die Evakuationstransporter aufgrund von Platzmangel nur wenig Gepäck und keine größeren Gegenstände zur Mitnahme erlauben. Jedoch hat eines der Kinder eine körperliche Einschränkung, was bedeutet, dass es auf eine Gehhilfe und sonstige Utensilien angewiesen ist, die viel Platz in Anspruch nehmen. Laut Walerij wurden er und seine Familie trotz einiger Problemen und fehlender Dokumente mit viel Wärme und Verständnis in Polen aufgenommen. Nichtsdestotrotz gab es einige Schwierigkeiten in der polnischen Erstaufnahmestelle. Denn die Erstaufnahmestellen in Polen sind zum Großteil ausschließlich für Frauen und Kinder gestaltet, da alle erwachsenen Männer, bis auf wenige Ausnahmen wie Walerij, nicht aus der Ukraine ausreisen dürfen. Das größte Problem dabei stellten die Duschen dar, jedoch haben die polnischen MitarbeiterInnen alles getan, um diese Unannehmlichkeit zu lösen. Nach ihrer Ankunft in Deutschland verbrachte die Familie zunächst einige Tage in einer deutschen Familie und wurde danach an die Erstaufnahmestelle weitervermittelt. Laut dem Familienvater hat die Aufnahmestelle in Deutschland komfortablere Verhältnisse als in Polen. Doch für ihn spielt Komfort eine untergeordnete Rolle. Das Wichtigste sei die Hilfsbereitschaft und Solidarität, betont er. Er und seine Familie seien sehr dankbar und schämten sich für das teilweise undankbare Verhalten einiger MitbürgerInnen. Die Familie weiß noch nicht, ob und wann sie zurückkehren können wird. „Nur die Zeit wird es zeigen“ – erklärte Walerij. Bis dahin möchte die Familie das Leben in Deutschland und die deutsche Kultur kennenlernen. Das Gewöhnungsberdürftigste für die Familie ist nicht etwa die Mülltrennung oder Bürokratie, sondern die Esskultur. Man vermisst die eigene traditionelle Küche. Auch die Kinder haben ihre Schwierigkeiten. Viele von ihnen hatten Flashbacks vom Krieg. Jede Sirene, lauter Knall oder ein Martinshorn lösen Angst aus. „Die Kinder kamen und fragten: Wann ist wieder der Luftalarm? Wohin müssen wir dann laufen?“ – berichtete Walerij.
Auch die 22-jährige Anastasia fühlt sich in Deutschland wohl aufgenommen. Auch sie ist der Meinung, dass man als Geflüchteter keinen Luxus in den Gastländern fordern und erwarten sollte. Anastasia ist mit ihrer gleichaltrigen Cousine, ihrer Mutter und ihrem kleinen Bruder aus Czernowitz, einer Stadt in der Westukraine, geflüchtet. Dagegen verblieben ihr Vater und weitere Familienmitglieder in der Ukraine. Ihr Freund ist ebenfalls dort und leistet Wehrdienst. Anastasia und ihre Familie sind jedoch nicht nur wegen des Kriegs geflohen. Da in ihrer Region die Kriegshandlungen vergleichsweise dezimiert stattfinden, gibt es einen großen Flüchtlingszustrom. Aus diesem Grund herrscht Produktmangel und erhöhte Arbeitslosigkeit. Doch Anastasia hat Verständnis dafür: „Nicht jeder traut sich seine Heimat zu verlassen und nicht jeder kann es sich leisten.“ Im Gegensatz zu Walerij und seiner Familie plant Anastasia in Deutschland zu bleiben. Außerdem möchte sie ihre Qualifikationen im Bereich Tourismus, Administration und als Ski/Snowboardlehrerin anerkennen lassen. Um dieses Ziel zu erreichen, begann sie bereits nach ihrer Ankunft in Deutschland Deutsch zu lernen. Zunächst auf eigene Hand, danach gemeinsam mit einer Mentorin. Auch sie ist nicht von der Mülltrennung in Deutschland überrascht, da sie sich auch in der Ukraine bemühte ihren Müll zu trennen. Dagegen ist die deutsche Bürokratie ein Albtraum für die 22-jährige. „Die vielen Termine und ewige Wartezeiten machen einen irre.“ Doch auch dafür hat sie großes Verständnis, da die Menge an Geflüchteten, deren Unterlagen neben den üblichen Aufträgen bearbeitet werden müssen, riesig ist. Auch die vielen strengen und neuen Gesetze findet Anastasia noch etwas seltsam.
Angelina Aroutiounian (Q1)